- Herr Prof. Seifert, weshalb legt die Urologie jetzt als erste Klinik ein Konzeptpapier vor – sind Sie stärker sensibilisiert oder ist bei Ihnen das Ungleichgewicht ausgeprägter als anderswo?
HS: Die Verteilung der Geschlechter in unserer Klinik unterscheidet sich nicht gross von anderen Disziplinen. Aber als chirurgischer Chefarzt muss man sich einfach Gedanken machen, wie Personalrecruitement in Zukunft aussehen soll: Aufgrund der demografischen Entwicklung wird sich die Zahl der Patientinnen und Patienten in der Urologie bis ins Jahr 2050 verdoppeln, 2030 sind es bereits 20 Prozent mehr – das heisst, wir brauchen auch 20 Prozent mehr Personal. Wo kriegen wir all diese guten, fähigen jungen Ärztinnen und Ärzte her? Ausserdem dauert unsere Facharztausbildung fünf Jahre, bis jemand hochspezialisiert ist, geht es sogar zehn Jahre. Wenn ich also 2030 hochspezialisierte Urologinnen und Urologen brauche, muss ich die jetzt einstellen.
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Wieso setzen Sie sich so ein für die Förderung von
Ärztinnen?
HS: 65 Prozent der jungen Menschen, die ein Schweizer Medizinstudium abschliessen, sind Frauen. Die Medizin wird weiblich sein in Zukunft. Natürlich setze ich mich auch aus Fairnessgründen für die Frauenförderung in der Medizin ein, aber ganz klar spielt da mein Ehrgeiz für meine Klinik mit rein: Ich möchte die besten Mitarbeitenden haben. Damit meine ich nicht die besten von diesem einen Drittel männlicher junger Ärzte, sondern von allen – ich will einfach die qualifiziertesten und hoffnungsvollsten jungen Talente für die Ausbildung hier an der Universitätsklinik gewinnen. Dafür müssen die richtigen Voraussetzungen geschaffen werden.
- Was halten Sie von der Quotenregelung für Frauen?
HS: Ich bin grosser Fan der Quote. Das ist ein sehr kontroverses Thema, ich habe da oft Diskussionen mit meinen Kollegen, viele finden das eine Diskriminierung der Männer. Ich glaube einfach, ohne Frauenquote ändert sich nichts – das sieht man in Schweizer Unternehmen mit Frauenquote, wo sich endlich etwas bewegt. Wir haben uns bewusst für diesen Weg entschieden, um ein ausgeglichenes Geschlechterverhältnis zu erreichen.
- Leben Sie und Ihr Team in Ihrem Berufsalltag weitere Massnahmen zur Geschlechtergleichstellung, die im Konzeptpapier gar nicht erwähnt sind?
HS: In den jüngeren Generationen hat ein Wertewandel stattgefunden – die Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Freizeit ist so wichtig wie noch nie. Da die Rekrutierung qualifizierter junger Mitarbeitenden ein Hauptproblem sein wird, müssen wir dem einfach Rechnung tragen. Teilzeitarbeit, Elternzeit, Jobsharing usw. sind wichtige Themen, und zwar nicht nur für Frauen: Ich habe jetzt als erster Chefarzt zwei männlichen Mitarbeitenden eine Pensumsreduktion um 50 Prozent für ein halbes Jahr bewilligt, weil sie mehr zu Hause bei ihren Babys sein wollten. So etwas muss Normalität werden. Auch müssen wir die operative Ausbildung an die Teilzeitstellen anpassen – auch wer nur 50 Prozent arbeitet, soll voll ausgebildet werden.
- In welchen Bereichen im Spital gibt es Ihrer Meinung nach noch besonders viel zu tun?
HS: In den chirurgischen Fächern haben wir noch einen weiten Weg vor uns. Hier hiess es ja lange, dass die Anstrengung und physische Belastung des Operierens sich weder für Teilzeitarbeit noch für Frauen eignen. Resultat war, dass weniger Ärztinnen sich chirurgisch ausbilden liessen. Damit hier keine Nachwuchsprobleme entstehen mit der aktuellen Geschlechterverteilung bei Studienabgängerinnen und -abgängern, wird es einiges an Arbeit brauchen.