Für unbewusste
Stereotypen
sensibilisieren:
Chancengleichheit
am USB

Auch in diesem Jahr wurden am Universitätsspital Basel Projekte zum Thema «Gendergerechte Nachwuchsförderung» initialisiert sowie bereits laufende Massnahmen fortgeführt.

Ein Schwerpunkt dabei ist das Thema «Unconscious Bias», zu dem Anfang 2022 Schulungen am Universitätsspital geplant sind. Prof. Dr. Gudrun Sander vom Competence Center for Diversity & Inclusion der Hochschule St. Gallen zeigt in diesen Workshops auf, wie viel unbewusste Diskriminierung im beruflichen Kontext stattfindet und welche Strategien helfen, solche Verzerrungen zu vermeiden und den Handlungsspielraum zu erweitern.

Frauenförderung im ärztlichen Bereich

Ab 2022 haben Assistenzärztinnen am Universitätsspital Basel die Möglichkeit, am Karriereförderprogramm «Aiming Higher» teilzunehmen und bereits während ihrer Ausbildung wichtige Grundlagen für ihre Laufbahn zu legen. Unter dem Motto «Advance your Career» begleitet das Programm, das in Zusammenarbeit mit der Universität St. Gallen (HSG) und weiteren grossen Spitälern in der Schweiz angeboten wird, Assistenzärztinnen während 14 Monaten mit berufsbegleitenden Online- und Präsenz-Workshops. Gezielte Angebote rund um Karriereplanung, Kompetenzstärkung, Netzwerkerweiterung und Mentoring machen «Aiming Higher» zu einem wertvollen Instrument für eine akademische und/oder eine Führungskarriere – und zu einem wichtigen Schritt in Richtung Chancengleichheit von Frauen und Männern im ärztlichen Bereich des Universitätsspitals Basel. In den einzelnen Kliniken am USB besteht weiterhin Förderbedarf im Hinblick auf die Chancengleichheit. So gilt zum Beispiel die Urologie als männerdominiertes Fach – einerseits wegen der über zwei Drittel männlichen Patienten, andererseits aufgrund der Dominanz männlicher Ärzte. Aktuell arbeiten in der Urologie am USB 20 Ärzte und fünf Ärztinnen – zu wenig für eine gelebte Chancengleichheit. Es sind bereits verschiedene Massnahmen in Kraft, um den Anteil der Ärztinnen in der Klinik für Urologie langfristig zu steigern – so zum Beispiel moderne Arbeitszeitmodelle sowie Massnahmen zur Förderung akademischer Karrieren von Urologinnen.

In einem weiteren Schritt hat nun das Urologie-Team rund um Chefarzt Prof. Helge Seifert im Herbst 2021 ein Konzeptpapier zur Frauenförderung vorgelegt: Das Dokument «Promotion of Women in Urology at the USB: Concept» definiert konkrete Zielwerte zur Frauenquote auf allen ärztlichen Kaderstufen. Mittels Massnahmen wie Bevorzugung weiblicher Kandidatinnen bei gleicher Qualifikation oder der aktiven Förderung von Teilzeitarbeit ohne eingeschränkte Karrierechancen soll für ein ausgewogenes Verhältnis von Ärztinnen und Ärzten sowie eine gendergerechte Nachwuchsförderung gesorgt werden. Ebenfalls Teil des Konzepts zur Chancengleichheit ist die Wahl einer Beauftragten für Frauenfragen, die – neben ihrer Arbeit als Oberärztin Urologie – Ansprechperson für alle Gleichstellungsfragen ist.

Ärztliche Nachwuchsförderung am USB im Überblick

«Aiming Higher» (in Zusammenarbeit mit der HSG) wendet sich an Assistenzärztinnen ab dem 2. Assistenzjahr, dauert 14 Monate und hat besonders Kandidatinnen im Fokus, die eine leitende Funktion und/oder eine akademische Karriere im Spital anstreben.

Das Programm «antelope» der Universität Basel begleitet weibliche Postdoktorandinnen aller Fachrichtungen auf ihrem Weg zur Professur und bietet verschiedenste Veranstaltungen, Coachings und Themenblöcke zur Optimierung des Kompetenzprofils an.

An Assistenzärzte und -ärztinnen richtet sich das Mentoring-Programm der medizinischen Fakultät der Universität Basel, bei dem neben der Zusammenarbeit mit einem erfahrenen Arzt oder einer erfahrenen Ärztin als ‘Mentoringduo‘ auch Workshops und Netzwerkveranstaltungen die Schwerpunkte bilden.

Interview

«Die Medizin der Zukunft ist weiblich»

Prof. Helge Seifert
Chefarzt Urologie
Leiter Urologisches Tumorzentrum

  1. Herr Prof. Seifert, weshalb legt die Urologie jetzt als erste Klinik ein Konzeptpapier vor – sind Sie stärker sensibilisiert oder ist bei Ihnen das Ungleichgewicht ausgeprägter als anderswo?

HS: Die Verteilung der Geschlechter in unserer Klinik unterscheidet sich nicht gross von anderen Disziplinen. Aber als chirurgischer Chefarzt muss man sich einfach Gedanken machen, wie Personalrecruitement in Zukunft aussehen soll: Aufgrund der demografischen Entwicklung wird sich die Zahl der Patientinnen und Patienten in der Urologie bis ins Jahr 2050 verdoppeln, 2030 sind es bereits 20 Prozent mehr – das heisst, wir brauchen auch 20 Prozent mehr Personal. Wo kriegen wir all diese guten, fähigen jungen Ärztinnen und Ärzte her? Ausserdem dauert unsere Facharztausbildung fünf Jahre, bis jemand hochspezialisiert ist, geht es sogar zehn Jahre. Wenn ich also 2030 hochspezialisierte Urologinnen und Urologen brauche, muss ich die jetzt einstellen.

  1. Wieso setzen Sie sich so ein für die Förderung von
    Ärztinnen?

HS: 65 Prozent der jungen Menschen, die ein Schweizer Medizinstudium abschliessen, sind Frauen. Die Medizin wird weiblich sein in Zukunft. Natürlich setze ich mich auch aus Fairnessgründen für die Frauenförderung in der Medizin ein, aber ganz klar spielt da mein Ehrgeiz für meine Klinik mit rein: Ich möchte die besten Mitarbeitenden haben. Damit meine ich nicht die besten von diesem einen Drittel männlicher junger Ärzte, sondern von allen – ich will einfach die qualifiziertesten und hoffnungsvollsten jungen Talente für die Ausbildung hier an der Universitätsklinik gewinnen. Dafür müssen die richtigen Voraussetzungen geschaffen werden.

  1. Was halten Sie von der Quotenregelung für Frauen?

HS: Ich bin grosser Fan der Quote. Das ist ein sehr kontroverses Thema, ich habe da oft Diskussionen mit meinen Kollegen, viele finden das eine Diskriminierung der Männer. Ich glaube einfach, ohne Frauenquote ändert sich nichts – das sieht man in Schweizer Unternehmen mit Frauenquote, wo sich endlich etwas bewegt. Wir haben uns bewusst für diesen Weg entschieden, um ein ausgeglichenes Geschlechterverhältnis zu erreichen.

  1. Leben Sie und Ihr Team in Ihrem Berufsalltag weitere Massnahmen zur Geschlechtergleichstellung, die im Konzeptpapier gar nicht erwähnt sind?

HS: In den jüngeren Generationen hat ein Wertewandel stattgefunden – die Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Freizeit ist so wichtig wie noch nie. Da die Rekrutierung qualifizierter junger Mitarbeitenden ein Hauptproblem sein wird, müssen wir dem einfach Rechnung tragen. Teilzeitarbeit, Elternzeit, Jobsharing usw. sind wichtige Themen, und zwar nicht nur für Frauen: Ich habe jetzt als erster Chefarzt zwei männlichen Mitarbeitenden eine Pensumsreduktion um 50 Prozent für ein halbes Jahr bewilligt, weil sie mehr zu Hause bei ihren Babys sein wollten. So etwas muss Normalität werden. Auch müssen wir die operative Ausbildung an die Teilzeitstellen anpassen – auch wer nur 50 Prozent arbeitet, soll voll ausgebildet werden.

  1. In welchen Bereichen im Spital gibt es Ihrer Meinung nach noch besonders viel zu tun?

HS: In den chirurgischen Fächern haben wir noch einen weiten Weg vor uns. Hier hiess es ja lange, dass die Anstrengung und physische Belastung des Operierens sich weder für Teilzeitarbeit noch für Frauen eignen. Resultat war, dass weniger Ärztinnen sich chirurgisch ausbilden liessen. Damit hier keine Nachwuchsprobleme entstehen mit der aktuellen Geschlechterverteilung bei Studienabgängerinnen und -abgängern, wird es einiges an Arbeit brauchen.